Die Geschichte von Fritz Knirsch

Wenn man mit dem Namen Tarek Al-Wazir aufwächst, wird man oft gefragt: Wo kommst Du denn her? Ich musste mich früher immer erklären. Deshalb habe ich mir diese Fragen auch selbst gestellt: Wo komme ich her? Wer bin ich? Das prägt und gibt Kraft. Ich wäre heute nicht, wer ich bin, wenn ich als Fritz Knirsch durchs Leben gegangen wäre. Der Standesbeamte wollte 1971 eigentlich noch einen "deutschen" Namen, damit das Geschlecht klarer würde, und Knirsch ist der Mädchenname meiner Mutter. Die Vielfalt im Rhein-Main-Gebiet ist inzwischen so normal geworden, dass meinen Kindern diese Fragen kaum noch gestellt werden.

Später bin ich auf die Internationale Schule in Sana‘a im Jemen gegangen, dem Heimatland meines Vaters. Die Sprache an der Schule war Englisch, die Alltagssprache Arabisch. Das war zwar sehr anstrengend, hat aber gleichzeitig meinen Horizont langfristig erweitert. Ich hatte Mitschülerinnen und Mitschüler aus vielen verschiedenen Ländern und Kulturen. Der Jemen selbst ist ein sehr arabisches Land. Nach zwei äußerst intensiven Jahren habe ich dann beschlossen, nach Hause zurückzukehren.

Ich bedanke mich von ganzem Herzen bei allen Menschen, denen ich in diesem Lebensabschnitt begegnen und deren enorme Gastfreundschaft ich genießen durfte. Ich konnte danach mein Heimatland Deutschland und meine Heimatstadt Offenbach mit ganz anderen Augen sehen und wusste sie anders zu schätzen. Ich bin sehr froh, heute Hessen politisch gestalten und Verantwortung übernehmen zu dürfen.

Nach zwei Jahren im Jemen konnte ich mein Heimatland Deutschland und meine Heimatstadt Offenbach mit ganz anderen Augen sehen und auch anders schätzen

In meiner Familie blieb es nicht aus, sich mit politischen und gesellschaftlichen Fragen zu beschäftigen. Meine Mutter war eine sehr engagierte Lehrerin, die ihren Beruf ernst nahm. Sie hat vor allem auch selber mitgestaltet, hat immer wieder ihren Protest zum Ausdruck gebracht und sich auch außerhalb des Berufs in die Gesellschaft eingebracht. Es wurde viel diskutiert, aber dabei allein blieb es nicht: Es wurde immer nach konkreten Handlungsmöglichkeiten gefragt – und das am besten schon am nächsten Wochenende. Das hat mich sehr geprägt. Und mir ging es sehr schnell darum, dass man nicht nur protestiert, wenn einem etwas nicht passt, sondern selbst etwas verändert. Politik muss in konkretes Handeln münden. Es muss etwas passieren, was man dann auch sehen kann. Reden ohne Anpacken ist wirklich nicht mein Ding.

So spannend meine Jugend auch war, ein Zuckerschlecken war sie nicht. Ich musste viele Kämpfe austragen, viel Kraft aufwenden, um meinen Weg zu finden. Kraft, die manchmal an anderer Stelle fehlte: Nach Noten war ich nicht immer ein guter Schüler und natürlich habe ich nach der Rückkehr aus dem Jemen prompt eine Ehrenrunde gedreht. Aber in solchen Situationen habe ich viel von meinem Vater gelernt: Hinfallen ist kein Problem; aber nicht wieder aufzustehen ist schlicht keine Option.

Mein Vater sagte einmal zu mir: "Tarek, Du hast enormes Glück, weil Du sehr viele Möglichkeiten hast, mache daraus etwas Anständiges". Und meine Mutter meinte immer: "Nimm die Dinge nicht einfach so hin. Hinterfrage die Welt und arbeite an ihrer Verbesserung, es gibt immer etwas zu tun im Land."

Meine Mutter meinte immer: "Nimm die Dinge nicht einfach so hin. Hinterfrage die Welt und arbeite an ihrer Verbesserung."

Von 2014 bis 2024 war ich Minister, in einer Koalition, die ich mir vorher selbst nicht wirklich vorstellen konnte. Was wurde uns GRÜNEN damals nicht alles prophezeit nach dieser Koalitionsbildung: Dass die Zustimmung für uns absacken und die Mitglieder in Scharen austreten würden, und dass wir keine Chance hätten, unsere Ziele umzusetzen. Jetzt stellen wir fest: Wir haben Mitgliederrekorde, haben uns bei der Landtagswahl 2018 fast verdoppelt und auch wenn wir uns bei der letzten Landtagswahl natürlich ein besseres Ergebnis gewünscht hätten war es das zweitbeste in unserer Geschichte. Das zeigt, wie viele Menschen den Wert und die realen Ergebnisse grüner Politik zu schätzen wissen. Und am Ende war das unser gemeinsamer Erfolg als GRÜNE in der Hessischen Regierung.

Wir denken groß als hessische GRÜNE, haben Visionen davon, wie sich unser Land in der Zukunft entwickeln muss und gleichzeitig sind wir realistisch genug um zu wissen, dass Visionen nur Schritt für Schritt Wirklichkeit werden können. In den letzten zehn Jahren konnten wir vieles auf den Weg bringen, haben frischen Wind in die Landespolitik gebracht und Hessen grüner und gerechter gemacht. Ob es 9.000 zusätzliche Stellen für Lehrkräfte oder 1.000 Stellen für Schulsozialarbeit waren oder ob es der Aufbau der Netzwerke gegen Diskriminierung war, wir haben gezeigt, dass Grün in der Regierung einen Unterschied macht. Für Initiativen für Demokratie und gegen Extremismus standen 2014 in ganz Hessen 400.000 Euro zur Verfügung, im Haushalt 2024 wurden zehn Millionen bereitgestellt. Busse und Bahnen in ganz Hessen ohne Tarifgrenzen – 2014 kaum vorstellbar, jetzt deutschlandweit Realität. Die Hessen-Flatratetickets für Schülerinnen und Schüler, Seniorinnen und Senioren und Mitarbeitende des Landes Hessen waren die Blaupause für das Deutschlandticket. Der Ausbau des Bahnnetzes, beispielsweise mit eigenen Gleisen für die S6 bis Bad Vilbel oder der jetzt endlich im Bau befindlichen Regionaltangente West wurden vom Land Hessen nach Kräften unterstützt und die Planungen vieler anderer Projekte bis hin zu den ICE-Trassen von Mannheim über Frankfurt nach Fulda und Erfurt inklusive des Frankfurter Fernbahntunnels sind jetzt in der Planung.

Wir haben als eines der wenigen Bundesländer die Trendwende im sozialen Wohnungsbau geschafft, die Zahl der Sozialwohnungen sinkt nicht mehr, sondern steigt in Hessen seit 2021 jedes Jahr wieder an. Erneuerbare Energien tragen jetzt zu mehr als 50 % zur hessischen Stromerzeugung bei und es gibt ein Hessisches Klimagesetz – auch Hessen hat das Ziel, bis 2045 klimaneutral zu werden, und die kommunale Wärmeplanung wurde in Hessen schon vor dem Bundesgesetz auf den Weg gebracht. Diese und viele, viele weitere Dinge haben wir vorangetrieben und ohne die Grünen in der Regierung wäre das nicht möglich gewesen.

Gleichzeitig ist klar, dass Erfolge der Vergangenheit und erst recht politischer Fortschritt gefährdet sind. In den Sondierungen nach der Landtagswahl 2023 war eine völlig ambitionslose SPD für die CDU schlicht viel billiger zu haben, und das ist im Koalitionsvertrag von SPD und CDU sehr deutlich zu sehen. Rückschritte im Klima- und Umweltschutz und auch in sozialen Bereichen und der Bildungspolitik ist von Fortschritt nichts zu sehen. Wir werden in den nächsten Jahren unsere Aufgabe als Opposition sehr ernstnehmen, nicht nur, was die Kontrolle der und Kritik an der Regierung angeht. Wir bleiben die hessischen Grünen, wir werden nicht nur die richtigen Fragen stellen, sondern immer auch sagen, wie es besser gehen kann und weiterhin daran arbeiten, die Verkehrswende, die Energiewende genauso wie die Agrarwende, Tag für Tag und vor Ort gemeinsam umzusetzen. Wir werden für bezahlbaren Wohnraum ebenso kämpfen wie dafür, dass Bildungspolitik ihren Teil dazu beiträgt, dass die Gesellschaft zusammenhält und besonders die Schülerinnen und Schüler fördert, denen zu Hause niemand hilft.

VITA

  • Geboren am 03.01.1971 in Offenbach am Main
  • Schulausbildung in Frankfurt am Main, Offenbach am Main und Sana’a (Jemen)
  • 1991 Abitur
  • 1991 bis 1992 Zivildienst
  • Studium der Politologie in Frankfurt am Main; Abschluss: Diplom-Politologe

POLITISCHE VITA

  • Seit 1989 Mitglied der Grünen
  • 1992 bis 1994 Vorsitzender der Grünen Jugend Hessen
  • 1993 bis 1997 und von 2000 bis 2016 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Offenbach am Main.
  • 1995 bis 2017 / seit 2019 Mitglied des Hessischen Landtags
  • 1995 bis 2005 innenpolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Hessischen Landtag
  • Mai 2000 bis Januar 2014 Vorsitzender der Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
  • 2005 bis 2008 integrationspolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Hessischen Landtag
  • 2005 bis 2013 medienpolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Hessischen Landtag
  • September 2007 bis Dezember 2013 Vorsitzender des Landesverbandes BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Hessen
  • Dezember 2006 bis November 2015 Mitglied des Parteirats des Bundesverbands von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
  • 2003 – 2014 Mitglied des Rundfunkrats des Hessischen Rundfunks
  • Januar 2014 - Januar 2019 Hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung und stellvertretender Ministerpräsident
  • Januar 2019 - Januar 2024 Hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen und stellvertretender Ministerpräsident